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„Wie geht’s dir – wirklich?“

  • Christina Eckstein
  • 19. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit

Wenn Offenheit als Schwäche verstanden wird und Ratschläge einem freien Prozess im Weg stehen, ist es vielleicht Zeit mal darüber zu sprechen - oder zu schreiben.


Vielleicht geht es dir ja auch so, ich bin gespannt, was du dazu sagst –

ich beginne Mal mit dem schönen Teil:


Ich wollte mir selbst und den Menschen, die in mein Leben finden (oder in meinem Leben sind) echte Begegnungen erlauben. Mein Wunsch war es, authentischen Austausch zu fördern und tiefe Verbindungen zu stärken.


Wie so oft habe ich mit einem völlig unterschätzten Thema angefangen: Ich widmete mich der uns allen bekannten Floskel „Wie geht’s dir?“ – und dass man diese Frage als Floskel bezeichnen kann, finde ich eigentlich schon bemerkenswert.


Mein Beschluss lautete wie folgt: Wenn ich jemanden frage „Wie geht’s dir?“, dann tue ich das ab sofort, weil es mich in diesem Moment von Herzen interessiert, was die Person gerade wirklich bewegt, was sie herausfordert oder was sie strahlen lässt.

Anfangs war es für einige (und ja, ich erinnere mich an jeden einzelnen davon) etwas ungewohnt, aber nach einer Weile hat genau diese kleine Veränderung meine Beziehungen enorm verbessert. Die Menschen in meinem Leben haben es schätzen und lieben gelernt (danke für eure Feedbacks an dieser Stelle). Sie haben begonnen sich mehr und mehr zu öffnen, was zu wundervollen Verbindungen geführt hat. Ein Raum wurde geschaffen und gehalten, in dem man einfach sein durfte und gesehen wurde. Echt. Wertgeschätzt. Frei.


Bemerkung am Rande: Ist es nicht erschreckend, dass wir andere Menschen nach ihrem Befinden fragen, ohne es ernst zu meinen?

Und ist es nicht im Kern noch erschreckender, dass sich Menschen wirklich darüber wundern, WENN es uns ernsthaft interessiert?



Jetzt zu dem unschönen Teil – damit nehme ich Bezug auf Erfahrungen mit Menschen außerhalb meines engsten Kreises:

Was passiert da eigentlich noch immer viel zu oft, wenn mich eine andere Person fragt, wie es mir geht und ich – zu deren Überraschung - ehrlich und authentisch darauf antworte? Was passiert, wenn man jemanden offen begegnet und sich zeigt – mit allen Höhen und Tiefen, die gerade eben einfach Teil des Lebens sind?

Dann schlagen mir gelegentlich Wellen der Tipps und (leider häufig auch FÜR MICH völlig unpassenden) Hilfestellungen entgegen.


Bei einigen Menschen wird diese Offenheit also

1. als Verletzlichkeit (im negativen Sinne) missverstanden und

2. trotz der eher „spirituellen Bubble“ in der ich mich bewege, scheint es noch immer die vorherrschende Meinung zu sein, dass Verletzlichkeit, Struggle und Herausforderungen sofort behoben werden müssen.


Statt also unseren Mut zu belohnen, ehrlich – offen – authentisch anderen zu begegnen, stoßen wir auf eine enorme Reaktion, die uns ins Straucheln bringt.

So wird aus dieser Chance, einander wirklich zu begegnen, meist wieder ein Rückzug, ein Sich-Verschließen - Einsamkeit, wo eigentlich Verbindung sein könnte.


Meine Meinung: Wir schaffen Opfer, Verletzungen und Distanz durch dieses Verhalten.


Und ich habe eine Menge Fragen – und wenn dir das auch schon passiert ist, hast auch du sicher viele Fragen...


Ich frage mich z. B.: Wieso können wir nicht einfach zuhören? Dem anderen einen Raum geben und diesen halten? Wieso können wir nicht vorher fragen, ob der andere (oder die andere) gerade überhaupt einen Rat haben möchte oder ob er (oder sie) nicht vielleicht selbst schon weiß, wie er (oder sie) mit den aktuellen Herausforderungen umgehen möchte? Warum glauben wir, ständig aktiv sein zu müssen und uns so enorm überanbieten zu müssen?


Und ich habe mich gefragt, wie man es verändern kann?


Dann fand ich mich plötzlich beim Tippen dieses Textes wieder.

Nicht, um jemanden anzugreifen, sondern um das Thema aufzuzeigen und darüber zu sprechen – denn dadurch können wir Dinge verändern.


Wir können etwas verändern, indem wir ehrlich zu uns sind und ehrlich zu anderen. Wir können Dinge verändern, wenn wir darüber sprechen und wenn wir hinsehen und begreifen, dass es bereits in den kleinen Dingen beginnen sollte – nicht in den großen! In kleinen Dingen, wie der einfachen Frage „Wie geht’s dir?“ und unserer Antwort darauf sowie unserer Reaktion auf die Antwort anderer.


Hiermit möchte ich dich und mich daran erinnern, dass wir es besser können, dass wir vielleicht nicht perfekt sind und es auch nie sein werden, aber dass wir an uns arbeiten können.


Ich weiß nicht – an welcher Stelle du dich siehst: Bist du jemand, der der Frage nie so richtig Beachtung geschenkt hat? Bist du jemand, der eventuell auch sofort in die Ratgeber-Rolle gefallen ist? Bist du jemand, der mit der Beantwortung der Frage auch oft Herausforderungen hat?


Ich war in allen diesen Rollen.


Ja, auch in der Ratgeber-Rolle – ich habe geglaubt, ich müsste ständig eine Antwort haben, einen guten Rat, einen Tipp, eine Lösung. Und tatsächlich kann es auch sein, dass ich ab und zu heute noch in diese wundervolle Ego-Falle tappe, ständig alles wissen zu müssen und mich beweisen zu müssen und mein Helfersyndrom ausleben zu müssen (denn nichts anderes ist das). Aber ich weiß, was es über mich aussagt und ich weiß, was ich damit anderen antue – klingt hart, aber wahre Veränderung braucht manchmal diese radikale Ehrlichkeit. Ich arbeite stetig daran, habe mich damit abgefunden, dass es manchmal weh tut und erforsche weiter voller Staunen die kleinen, alltäglichen Dinge, in denen – meiner Meinung nach – doch immer wieder die stärkste Transformationskraft schlummert.


Eine bessere Version von sich selbst werden? Sich wirklich verändern und weiterentwickeln? Erleuchtung finden? Okay, das geht...Das geht durch bewusst machen, darüber diskutieren und durch das Sich-Immer-Wieder-Daran-Erinnern...durch einen Wunsch, durch eine Hoffnung, durch ein Gefühl, eine neue Absicht und mit einer guten Frage...


Wie schön wäre es, würden wir uns einfach wahrhaftig begegnen, was meinst du?


Ach und: Wie geht’s dir eigentlich?


Von Herzen

Chrissie


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